Mai 2016
»Kuchen, Karteln, Kerzenschein« – so lautete der Slogan, mit dem die Gustav-Adolf-Gedächtniskirche in der Nürnberger Südstadt im Winter 2016 die Bevölkerung erstmals zur Vesperkirche einlud. Sechs Wochen lang sorgten fast 400 ehrenamtliche Mitarbeiter dafür, dass man sich im umgestalteten Kirchenraum zwanglos treffen konnte und für den symbolischen Preis von einem Euro ein warmes Essen erhielt. Dahinter steht für Pfarrer Bernd Reuther zum einen »ein stark diakonischer Gedanke«, zum anderen »bieten wir aber auch einen Raum, wo Menschen verschiedener Herkunft, verschiedener Einkommensstruktur sich treffen und zusammensitzen und die andere Wirklichkeit auch wahrnehmen.«
Das Projekt war innerhalb der Gemeinde nicht unumstritten. Karten oder Mensch ärgere dich nicht spielen, sich über profane Dinge unterhalten oder auch einfach nur Spaß haben in der Kirche, darin sahen einige auch eine Entweihung des kirchlichen Raumes. Aber was soll mit den vielen Kirchen geschehen, in einer Zeit, in der die Anzahl der Kirchenmitglieder ständig sinkt? Sollen wir sie leer stehen lassen, und wer übernimmt die Kosten für die Instandhaltung? Fragen, die nicht nur Pfarrer Bernd Reuther beschäftigen.
Das Projekt wird ein großer Erfolg: Schon nach wenigen Tagen sind viele Besucher zu Stammgästen geworden, die kulturellen Angebote werden gut angenommen und selbst die Gottesdienste sind gut besucht, manche fühlen sich an die »Urkirche« erinnert.
Aber wie ist das Verhältnis der Besucher zur Kirche im Allgemeinen? Was macht die Menschen so unzufrieden mit der Kirche, dass immer mehr Christen austreten? Weshalb kommen die wenigsten Vesperkirchenbesucher in den normalen Gottesdienst? Wie kommt es, dass sich Menschen, die der Kirche distanziert gegenüber stehen, für die Vesperkirche ehrenamtlich engagieren? Wohin muss sich Kirche entwickeln, wenn sie nicht weiter an gesellschaftlicher Bedeutung verlieren will?
April 2016
Das in der Nürnberger Nordstadt gelegene Stadtteilzentrum KUNO ist Teil der vor 40 Jahren entstandenen Idee, in möglichst vielen Stadtteilen kleine dezentrale Kulturzentren entstehen zu lassen. Die vom damaligen Kulturreferenten Hermann Glaser entwickelte Vorstellung, niederschwellige, alle Bevölkerungsgruppen ansprechende kulturelle Angebote zu machen, hat unter dem Stichwort »Soziokultur« in den 1980er Jahren bundesweite Bedeutung erlangt.
Aus der Aufbruchsstimmung der 1968er Generation heraus fanden sich im »Kulturladen Nord« Menschen zusammen, die in der Gesellschaft etwas verändern wollten. In den 1980er Jahren gab es im KUNO viele Initiativen, die sich kulturell, sozial oder politisch engagierten. Neben den »Müttern gegen Atomkraft« nutzten unter anderem Greenpeace, die Solarenergieinitiative und Robin Wood die Räume. Vereine, wie die die Schwangerenberatungstelle oder Nürnberger Aidshilfe wurden hier gegründet. Proteste gegen Einschnitte im Kulturetat, gegen den zweiten Golfkrieg oder der Aufruf zum Volkszählungsboykott wurden von KUNO-Mitgliedern maßgeblich mitorganisiert.
Die politischen Aktivitäten wurden im Laufe der Jahre weniger, die Zahl derer, die sich aktiv engagierten, nahm ab und die Hauptverantwortlichen sahen sich mit sinkenden Besucherzahlen konfrontiert. Daher nahm man im Jahre 2009 einen Relaunch vor: aus dem Kulturladen Nord wurde das Kulturzentrum Nord.
Margit Mohr, seit 25 Jahren Leiterin des noch immer selbstverwalteten KUNO hielt einen Neustart für notwendig: »Der Relaunch diente dazu, dass wir uns auf unsere Kernkompetenzen besinnen, und wir haben dann herausgefunden, dass wir mit dem Galeriehaus die bildende Kunst als den ersten Kernbereich, als weiteren Kernbereich die Literatur mit dem jetzigen Literaturzentrum Nord haben und der dritte Kernbereich ist der Kulturtreff Nord, der subsumiert das Café Zeitlos, das Kurs- und Fortbildungsprogramm, die Reihe Jazzfrühstück, und alle Gruppentreffs, die hier stattfinden.« Wenngleich sich die Schwerpunkte der Arbeit im Laufe der Jahre verschoben haben, fühlt man sich im KUNO dem Glaserschen Gedanken der Soziokultur bis heute verpflichtet.
Seit Jahrzehnten unverändert fester Bestandteil des KUNO-Programms ist das 1. Mai-Fest. Hier kommt seit Jahren die Nürnberger Alternativ- und Politszene zusammen, schwelgt in Erinnerungen oder schaut wie der Künstler Peter Hammer vorbei, um sich zu informieren: »Man muss doch wissen, wer noch am Leben ist und wie alt er geworden ist.«, um dann festzustellen, »die sind alle älter geworden, wahrscheinlich sogar ich.«
Februar 2016
Es ist noch gar nicht so lange her, da assoziierte man Tattoos mit Seefahrerei, Knast und Rotlichtmilieu. In den späten 1980er Jahren war ein tätowierter Unterarm »noch ’ne echte Ansage«, erinnert sich Kalle, der seit über 35 Jahren in Bamberg als Tätowierer arbeitet. Heutzutage fällt man allerdings fast mehr auf, wenn man kein Tattoo trägt. Angeblich ist inzwischen jeder vierte Deutsche unter 35 Jahren tätowiert. Dabei handelt es sich nicht nur um Künstler oder Kreative: Inzwischen lassen auch Bankangestellte und Beamte ihren Körper mit Tattoos verschönern. Gehört es demnach heute für junge Menschen genauso dazu, tätowiert zu sein, so wie das neueste iPhone zu besitzen? Ist man schlichtweg out, wenn man sich dem verweigert?
Wenn man früher zeigen wollte, dass man ein harter Hund ist und einiges auf dem Kerbholz hat, dann ließ man sich eine »Knastträne« tätowieren. Aber was verbinden Menschen heute mit ihrem Körperschmuck? Wollen Menschen mit ihren Tattoos etwas aussagen, sie als Kommunikationsinstrument einsetzen, oder geht es nur darum, mitreden zu können bzw. Teil eines Trends zu sein?
Auch Tattoos unterliegen Moden. Klamotten, die man heute trägt, kann man morgen in den Altkleidercontainer werfen, aber was macht man mit einem Arschgeweih, das man sich vor 20 Jahren auf den unteren Rücken hat tätowieren lassen?
Nach welchen Kriterien wählt man seinen Körperschmuck aus? Lässt man es bei ein paar Sternchen oder einer kleinen Rose, beschränkt sich auf Stellen, die man leicht bedecken kann, oder macht man es wie Johannes Stahl und lässt sich den Spruch »Shit never goes wrong« in krakeliger Schrift auf den Hals tätowieren? Lässt man sich von Mathes Krivy ein Ganzkörperkonzept tätowieren, das an polynesische rituelle Tattoos erinnert, damit aber eigentlich nichts zu tun hat, oder ist ein asiatischer Bodysuit von dem Forchheimer Snüden die richtige Entscheidung, wenn man seinen Körper verschönern lassen will? Wenn der Tätowierer keine passende Vorlage hat – im Internet findet sich für jeden Geschmack das passende.
Selbst in Kleinstädten gibt es heute meist mehrere Tattoostudios. Die Anzahl der Tätowierer hat in den letzten Jahren sprunghaft zugenommen, darunter sind immer mehr Absolventen von Kunstakademien und Designer wie Calina Hain. Sind Tattoos, wenn sie von Künstlern erstellt sind, Kunst bzw. wann sind Tattoos Kunst? Was bringt Menschen dazu, ihrem Tätowierer freie Hand bei der Modifizierung ihres Körpers zu geben? Tätowierer und Tätowierte erzählen von ihrem Verhältnis zu der Gestaltung des menschlichen Körpers.
Ausschnitte aus diesem Film waren im Oktober 2015 in der Ausstellung »Skin Stories. Tattoo & Kunst« in der kunst galerie fürth im Rahmen des Festivals »net:works« zu sehen – hier ein Teaser dazu.
Dezember 2015
In den letzten Jahren hat sich die Kaffeehauslandschaft in Deutschland stark verändert: Viele von Bäckereien betriebene Cafés haben geschlossen. An ihre Stelle sind deutschlandweit agierende Ketten getreten, die meist im Franchise betrieben werden. Samocca ist eines dieser Unternehmen, das sich allerdings in einem wichtigen Punkt von den Mitbewerbern unterscheidet: 80% der Beschäftigten sind Menschen mit Handicap.
Im Frühjahr 2015 wurde in Fürth das erste Samocca in Mittelfranken eröffnet. Seitdem arbeiten hier 15 Beschäftigte der Lebenshilfe. Nach oftmals vielen Jahren im geschützten Rahmen der Werkstätten haben sie sich entschieden, den Schritt an einen neuen anspruchsvollen Arbeitsplatz zu wagen. Arbeiten in einem Café, das bedeutet Schicht- und Wochenenddienst, acht Stunden stehen und gehen und dabei die Gäste immer gleich freundlich behandeln. So etwas geht nicht immer ohne Stress ab.
Damit der hohe Anspruch an Qualität und Service erfüllt werden kann, wurde von den Franchise-Gebern ein spezielles Bestellsystem entwickelt. Das ermöglicht selbst Menschen, die weder lesen noch schreiben können, im Samocca zu arbeiten.
Fast alle, die seit nunmehr neun Monaten im Café arbeiten, sind trotz der hohen Anforderungen mit viel Engagement bei der Sache und stolz auf das, was sie zu leisten vermögen. Anita Hofmann fasst es so zusammen: »Mir gefällt es sehr gut, dass die Leute uns anschauen und sehen, was wir machen. Die denken, wir schaffen das nicht, weil wir sind behinderte Menschen, die das gleich wieder aufgeben, aber dass wir es schaffen, heißt, wir sind ein Team. Und wenn die Leute das nicht glauben, sollen sie uns besuchen und sehen, wie wir uns daran halten.«
Der Film begleitet das Projekt von den ersten Vorbereitungen, über die mit viel Stress verbundene Eröffnungsphase bis hin zum Kaffeehausbetrieb. Die Beschäftigten erzählen von ihren Erwartungen und Ängsten, von Stresssituationen und Erfolgserlebnissen und geben so einen beeindruckenden Einblick in das, was sie trotz ihres Handicaps zu leisten vermögen.
Dezember 2015
Über sechs Monate begleitete Medien PRAXIS e. V. filmisch den Aufbau des Fürther »Café Samocca«, eines von mittlerweile 17 integrativen Unternehmen, die unter einem besonderen Franchise-Konzept betrieben werden: In Küche und Service arbeiten hier überwiegend behinderte Menschen, für die der Umgang mit Gästen und die facettenreiche Arbeit eine besondere Herausforderung darstellt, an deren Bewältigung sie wachsen und an Selbstsicherheit gewinnen.
Zum gestrigen Premierenabend war das mit Kinobestuhlung aufgerüstete Café in der Breitscheidstraße rappelvoll gefüllt mit den »Filmstars«, ihren Angehörigen und zahlreichen interessierten Fürtherinnen und Fürthern.
Rolf Bidner, Leiter der integrativen Werkstätten der Fürther Lebenshilfe fasste in seinem Rückblick nochmals all die Stolpersteine und Widrigkeiten zusammen, die bis zur Eröffnung des Cafés zu überwinden waren: Buchstäblich bis unmittelbar vor der Eröffnung waren Handwerker zugange, so dass der eigentlich geplante Probebetrieb nicht stattfinden und sofort mit »richtigen« Gästen gearbeitet werden musste... Dass dies neben den anderen Aspekten ebenfalls im Film dargestellt sei, freue ihn, sagte er anschließend. »Hinterher hat uns ja niemand geglaubt, dass das Café noch einen Tag vor Eröffnung wie eine Baustelle ausgesehen hat.«
Die Vorführung war von großer Anteilnahme der darin Portraitierten begleitet, die den filmischen Rückblick auf das Werden des Projektes und ihr eigenes Engagement natürlich mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgten. Julia Thomas und Thomas Steigerwald, die beiden Macher des Films, bedankten sich herzlich bei allen Beteiligten für ihr Vertrauen und die Offenheit und Herzlichkeit bei den Dreharbeiten.
Die fleißigen »Samoccaner« saßen hinterher noch bestens gelaunt zusammen:
Der Film »Samocca – Franchise einmal anders« wird in zwei Teilen am Sonntag, dem 20. (1. Teil), und am Sonntag, dem 27. Dezember (2. Teil) auf unserem Sendeplatz bei Franken Fernsehen (19.30 Uhr, 21.30 Uhr und 23.30 Uhr) ausgestrahlt. Ein eigener Blogbeitrag zum Film erscheint in der kommenden Woche.
November 2015
Heute konnten wir endlich die letzten Lücken in der Bebilderung unserer Filmbeiträge schließen: Alle derzeit 7 Dokumentationen, 44 Portraits und 146 Reportagen in diesem unseren Produktions-Blog sind nunmehr mit Screenshots versehen! Der ausführende Webmaster genehmigt sich ein virtuelles Gläschen Sekt (in realiter neigt er eher dem Eierlikör zu) und freut sich, fürderhin nur noch zukunftsorientiert tätig sein zu können und nicht mehr rückwärtsgewandt arbeiten zu müssen...
September 2015
Dieser Tage feiert die Nürnberger AIDS-Hilfe ihr 30-jähriges Bestehen. Aus diesem Grund wiederholen wir den Film »Nein, diese Pillen schluck‘ ich nicht« aus dem Jahr 2000. Es ist ein filmisches Portrait von Rainer Blank. Er lebte zu diesem Zeitpunkt bereits seit 15 Jahren mit dem HIV-Virus, verweigerte sich aber der damals relativ neuen Behandlung der Infektion durch die Kombi-Therapie.
point spricht im Anschluss mit Manfred Schmidt, dem Fachvorstand der Nürnberger AIDS-Hilfe, über die Veränderungen der Arbeit seiner Organisation im Laufe der letzten drei Jahrzehnte.
Moderation: Martina Hildebrand
Juli 2015
14 Jahre lang haben wir drei Paare mit der Kamera begleitet, sechs Menschen, die im Alter von 57 bis 81 gemeinsam in Heroldsberg bei Nürnberg gebaut haben. Der Wunsch von Horenburgs, Müllenhoffs und Luthers: möglichst lange in einer Hausgemeinschaft eigenverantwortlich zu leben und die Zeit nach dem Erwerbsleben miteinander zu genießen.
Für Ursula Müllenhoff ist das Wohnprojekt eine »Abkehr von dem völlig absurden isolierten Leben, was sehr viele Menschen heutzutage leben« und Angelika Horenburg verbindet mit dem Altersheim die Vorstellung, »dass ich alles abgebe. Und ich weiß, dass das für mich tödlich wäre.«
Viele Jahre haben sich die drei Paare auf diesen Schritt vorbereitet, und doch müssen sie schon nach wenigen Wochen feststellen, dass das gemeinsame Leben in einem Wohnprojekt nicht ganz einfach ist. Um das Projekt nicht scheitern zu lassen, holen sie sich Hilfe von außen und schaffen es so, sich für die Gedanken und Vorstellungen der Mitbewohner zu öffnen und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
14 Jahre sind eine lange Zeit, und immer wieder muss sich die Gemeinschaft mit Schicksalsschlägen und damit verbundenen Veränderungen auseinander setzen; dennoch hat es keine(r) der Beteiligten bereut, sich auf das Experiment eingelassen zu haben.
Der Film dokumentiert das Leben in der Hausgemeinschaft von der Planungsphase bis in die Gegenwart. Er vermittelt Einblicke in ein ungewöhnliches Wohnprojekt, dessen Bewohner über ihre Träume, Hoffnungen und Wünsche (und was daraus im Laufe der Jahre geworden ist) offen berichten.
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